Manuela Kerer

"Die mit den Klängen jongliert".
Laudatio für Manuela Kerer anlässlich der Verleihung des Emil-Berlanda-Preises
des Landes Tirol am 21. September 2011

Von Manfred Schneider

Manuela Kerer, 1980 in Brixen geboren, ist Musikerin, Juristin, Psychologin, vor allem aber berufene Komponistin und beeindruckende Persönlichkeit von großer Authentizität. Sie besitzt eine außergewöhnliche Sensibilität für das, was sie umgibt. Kein Wunder also, dass alles für sie in irgendeiner Weise "klingt", einen formellen Bewegungsablauf, folglich Rhythmus und damit essenzielle Komponenten von Musik innehat. Inspiration für ihre Kompositionen avantgardistischer wie experimenteller E-Musik bezieht Manuela Kerer also auch aus bewusster Wahrnehmung und innovativer Auseinandersetzung mit Alltäglichem. "Phantasie, Kreativität und das Überschreiten von Grenzen", oft in einer Symbiose verschiedener Kunstsparten, erklärte Tirols Kulturlandesrätin Mag. Dr. Beate Palfrader als wesentliche, von Manuela Kerer erfüllte Kriterien, ihr auf Vorschlag des Tiroler Landeskulturbeirats den Emil-Berlanda-Preis 2011 zuzusprechen. Etwa 130 Kompositionen schrieb Manuela Kerer bisher. Beim Festakt der Preisüberreichung im Innsbrucker Landhaus dankte sie ebenso souverän wie herzlich allen, die ihren Weg begleiten und ermöglichen. Im Element und originell, wie Manuela Kerer eben immer: Zum Schluss der Feier erklang ihr Gelegenheitswerkchen Manuela sagt danke!, die ersten drei Sätze ihres Impresa omonéro (für Zither solo, 2009) und das Arrangement ihres Impresa doppio omonéro (für Sopran und Zither, 2011) nach dem Text Eco von Michela Rodeghiero. Die Sopranistin Kerstin Gieber, Martin Mallaun an der Zither, die Preisträgerin selbst am Kinderklavier und alle Festgäste waren aktiv und amüsiert an der Uraufführung beteiligt.

Manuela Kerer am Kinderklavier (Foto: Waltraud Vergeiner, 21. 9. 2011)

Emil Berlanda (Kufstein 1905 - 1960 Innsbruck) ist der vielleicht bemerkenswerteste Tiroler Komponist des 20. Jahrhunderts. Das Land Tirol ehrt die Erinnerung an seinen Namen durch die Verleihung des Emil-Berlanda-Preises. Dieser wird alle zwei Jahre an eine herausragende Musikerpersönlichkeit vergeben, die sich insbesondere um die Neue Musik verdient gemacht hat. Obwohl Emil Berlandas Werk zu den großen Kulturschätzen des Landes zu zählen ist, war bis vor kurzem zum Beispiel keine seiner Kompositionen auf einer CD öffentlich zugänglich.

Anlässlich des 50. Todestages des Komponisten hat das Institut für Tiroler Musikforschung 2010 in der Basilika von Stift Stams ein Gedenkkonzert mit Kompositionen von Emil Berlanda veranstaltet, das zur Gänze auf einer CD dokumentiert ist (Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 73, Innsbruck: ITMf 2010). Vorgestellt wurden dabei vor allem Uraufführungen von Orchesterwerken, darunter die überaus kunstvollen Sinfonischen Variationen op. 43 aus dem Jahr 1942, die inzwischen komplett im Kultursender Ö1 des Österreichischen Rundfunks Wien gesendet wurden. Dass nun die Kunst Emil Berlandas in Auswahl akustisch in beeindruckender Weise veröffentlicht werden konnte, verdanken wir Frau Landesrätin Mag. Dr. Beate Palfrader, die in einem Jahr, das allgemein dem Sparen, auch im Kulturbereich, gewidmet war, die Dringlichkeit dieser Unternehmung erkannt und dieses Konzert mit begleitender CD-Produktion als Sonderprojekt großzügig genehmigt hat.Wenn man die Autobiographie von Emil Berlanda liest, nimmt man mit Betroffenheit insbesondere seine unentwegte, zumeist erfolglose Bemühung um die Aufführung seiner Kompositionen zur Kenntnis. Da er, wie die übrigen Tiroler Komponisten damals, im Lande selbst kaum wahrgenommen wurde, hat er sich um Aufführungsmöglichkeiten vor allem in deutschen Rundfunkanstalten bemüht. Diese waren damals als Reichssender organisiert. Um überhaupt den Funken einer Chance zu wahren, als Komponist und insbesondere in der Reichsmusikkammer, ernst genommen zu werden, war es zur Voraussetzung geworden, in irgendeiner Form ein Naheverhältnis zu der in Deutschland 1933 an die Macht gekommenen Partei der Nationalsozialisten zu bekunden. Als die NSDAP nach ihrem Putsch im faschistischen Österreich verboten wurde, trat Emil Berlanda, wie die meisten seiner Tiroler Künstlerkollegen, im Juli 1937 dem NS-Kulturbund bei. Erst mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde er auch offiziell, wie so viele Menschen zu dieser Zeit, Mitglied der Partei Hitlers.

Ein besonnener Historiker sitzt nicht zu Gericht über die Geschichte, vielmehr versucht er sie zu verstehen. Wenn wir heute das Wort Nationalsozialismus hören, verbinden wir damit unmittelbar die schrecklichen Greueltaten des Krieges, die Verfolgungen, Qual und Vernichtung zahlloser unschuldiger Menschen, die Entfesselung alles Bösen der menschlichen Natur und die damit einhergehend vielfach unverzeihlichen Taten. Dies ist uns alles durch Berichte von Zeitzeugen, durch emotionsgeladene Filme und eine Fülle von Literatur in dauerhafte Erinnerung geschrieben. Betroffenheit dabei ist nur natürlich und folgt dem guten Kern der menschlichen Seele.

Moralische Entrüstung führt aber auch leicht zu überheblicher Selbstgerechtigkeit, und es besteht die Gefahr, dass sie die wirklichen Umstände mehr verschleiert als entwirrt. Um zu einer tatsächlich gerechten und so von Verantwortung getragenen Einsicht zu gelangen, sollte jede pauschale Beurteilung mit nachfolgender Verurteilung vermieden werden. Es kommt der Wahrheitsfindung zu Gute, wenn als Erstes größtmögliche Sorgfalt auf die Ermittlung erfahrbarer Fakten der einzelnen Lebensschicksale in ihrer Kombination mit den zeitgenössischen politischen und sozialen Rahmenbedingungen aufgewendet wird. Die Menschen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sind nämlich in eine andere Paradigmenwelt hinein gewachsen und in ihr groß geworden, die sich politisch und sozial grundlegend von der heutigen Zeit unterscheidet. Damals war die Ideologie des Faschismus nahezu europaweit präsent. Sie bestimmte weitgehend das politische wie gesellschaftliche Denken und Handeln. Damit verbunden waren die Dominanz eines übertriebenen Patriotismus und eine prinzipiell antidemokratisch ausgerichtete politische Grundeinstellung, ferner ein nahezu allgegenwärtiger Antisemitismus. Dieses durch fortwährende propagandistische Einwirkung gefestigte und politisch autorisierte Mentalitätsklima hat die Menschen von damals geformt und ihr ethisches und soziales Verhalten bestimmt. Danach ist ihr gewissenhaft erforschtes Tun zu beurteilen.

Überblickt man das Leben und Schaffen von Emil Berlanda in seiner Ganzheit, entsteht das Bild eines durchwegs edlen und charaktervollen Menschen, der sein Dasein ausschließlich der Kunst gewidmet hat. Er war mit Sicherheit kein von Begeisterung getriebener Anhänger des Hitler-Regimes, und soweit man seine Selbstbiographie und weitere Zeitzeugnisse als authentische Quellen ansieht, ein durchwegs von Menschlichkeit beseelter Charakter. Diese Feststellung ist mir wichtig, damit auch künftig alle Träger des Emil-Berlanda-Preises diese Auszeichnung des Landes Tirol bewusst mit berechtigtem Stolz annehmen können.

Wenn man von der damaligen Zeit gedanklich in die Gegenwart zurückkehrt, ist es wie das Erwachen aus einem Alptraum. Ein herausragendes Talent wie Manuela Kerer, das uns allen wie vom Schicksal geschenkt ist, hat in diesem nun auch kulturpolitisch weitgehend freien Environment die idealen Voraussetzungen seiner Entfaltung. Das beginnt schon mit Manuelas Kindheit in Brixen in Südtirol, wo sie fürsorgliche Erziehung im Elternhaus erfuhr und liebevoll in das weitere Leben geführt wurde. Das schönste Geschenk ist ihr so auch eine Geige, die ihr der Vater verehrt hat. In einem Ambiente großzügiger staatlicher sozialer Solidarität und Freiheit konnte sie ihren vielen Talenten den entsprechenden Raum geben. Nach dem Violinunterricht, den sie am Tiroler Landeskonservatorium abschloss, studierte sie dort Komposition. Diese Ausbildung intensivierte sie anschließend in Mailand beim international etablierten Komponisten Alessandro Solbiati. Dazu erhielt sie Anregungen für ihren künstlerischen Schaffensprozess beim Komponisten Salvatore Sciarrino, einem Meister des zeitgenössischen Musiktheaters. Erste entscheidende Impulse hatte Manuela Kerer ihr Theorielehrer am Tiroler Landeskonservatorium, der arrivierte Tiroler Komponist Franz Baur, vermittelt. Parallel zu ihren Musikstudien belegte sie an der Universität Innsbruck die Fächer Psychologie und Rechtswissenschaft. Für beide Fachrichtungen hat sie in kürzester Zeit den Magistertitel erhalten, inzwischen arbeitet sie an entsprechenden Dissertationen (über das musikalische Gedächtnis Demenzkranker bzw. zum Urheberrecht von Komponisten). Ihr Motto für das Bestehen der vielen Prüfungen war: "Mut zur Lücke", den Professor mindestens einmal zum Lachen zu bringen und "Frechheit siegt".

In einem Klima zur Bereitschaft großzügiger Förderung konnte Manuela Kerer ihrer grundsätzlich unbezahlbaren, doch real den Gesetzen auch kultureller Markwirtschaft unterliegenden Kunst bislang freischaffend nachgehen, finanziell weitgehend abgesichert. So erhielt sie vom Rotary-Club Innsbruck das Höchstbegabtenstipendium im Jahr 2007 und war im selben Jahr Stipendiatin der Akademie avantgarde tirol. In den Jahren 2008 und 2011 wurde ihr das Österreichische Staatsstipendium in Komposition zugesprochen. 2009 erhielt sie das Kompositionsstipendium der Stadt Innsbruck und war Stipendiatin der Richard-Wagner-Stiftung Innsbruck-Bozen. Im Rahmen des Europäischen Jahres der Kreativität und Innovation 2009 wurde Manuela Kerer vom Ausschuss der Europaregionen als eines von europaweit 100 Young creative talents ausgewählt. Manuela Kerer erhielt zudem viele Kompositionsaufträge. Der Bogen der Präsenz ihrer Kunst in Tirol reicht etwa vom Perkussionsensemble The Next Step über die Bläserharmonie Brixen, Teilnehmer des Jugendmusikwettbewerbs Prima la musica oder Expo-Brenner (ein Ensemble von Sängern und Blechbläsern) zum Festival zeitgenössischer Musik Bozen.

Das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, wo im Jahr 2005 übrigens das erste Konzert mit Manuela Kerer als Komponistin stattfand und wo ein Jahr später ihre erste CD erschien, nämlich der Livemitschnitt einer viel bewunderten musikalischen Sternstunde mit der Uraufführung ihres Konzerts für das Tiroler Landesmuseum, hat ihrem einzigartig vielseitigen Können ebenso Aufmerksamkeit geschenkt wie der Südtiroler Künstlerbund oder das Landesstudio Tirol des ORF. 2010 gab der ORF Wien die CD Manuela Kerer heraus, die 16 Vokal- und Instrumentalstücke von ihr enthält, in verschiedenen kleinen, konventionellen wie ausgefallenen Besetzungen und ebenso für Symphonieorchester. Im heurigen Jahr wurde bei den Tiroler Festspielen Erl in der Reihe der Kammerkonzerte das Stück Eterezoo von Manuela Kerer für Harfe und Streichorchester vorgestellt, das sie eigens für einen Ausnahmekünstler, den italienischen Harfenisten Antonio Ostuni, komponiert hat (im Titel "etereo", italienisch "himmlisch", kombiniert mit "Zoo", als Symbole für die Vielfalt des Kosmos).
Bald schon wurde man auf Manuela Kerer außerhalb des Landes aufmerksam. Sie hat Stücke für das renommierte Ensemble die reihe im Rahmen des Musikfestes im Schönberg-Center Wien anlässlich des 85-jährigen Bestandes der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik komponiert ebenso wie für die Camerata Europaea im Konzerthaus Berlin oder für das International Festival for Contemporary Music in Moskau. Großer Erfolg bei Publikum und Presse war ihr jüngst in München mit Aufführungen von Kurzopern beschieden. Der Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung vom 24. Juni 2009 schreibt zur Uraufführung von Manuela Kerers tickende polli, deren eigenes Libretto ein Besuch der Komponistin im italienischen Senat angeregt hatte: Ein "überbordender, vor musikalischen Ideen berstender Zwanzigminüter [ ], und der Kopf rauscht von den Chiffren der Moderne, die Kerer hinterfragt und mit wahnwitzigem Tempo durcheinanderwirbelt". Das Werk war im Juni 2009 zusammen mit zwei weiteren Arbeiten von Jungtalenten in München beim Festival ADevantgarde aufgeführt worden. "Drei Kurzopern wurden beim Kompositionswettbewerb des Adevantgarde-Festivals in der Reaktorhalle realisiert, und eine davon ist scharf, verrückt, hoffentlich die Keimzelle zu einem großen Werk. Denn das wünscht man von Manuela Kerer", so lautet das Resümee dazu in der Süddeutschen Zeitung. Auf dieses fulminante Münchner Ereignis bekam Manuela Kerer folgerichtig einen weiteren Kompositionsauftrag für eine Kurzoper. Daraus resultiert Teil 2 von Versprochen, Froschkönig versprochen!, dessen beide weitere Bilder die jungen deutschen Komponisten Gerhard Müller-Hornbach und Johannes X. Schachtner vertonten (Uraufführung München, 11. Juni 2011, wiederum in der Reaktorhalle im Rahmen des Adevantgarde-Festivals, in Kooperation mit der Bayerischen Theaterakademie August Everding). Weitere Aufträge in der Sparte Musiktheater kamen für Frankfurt am Main und die Wiener Kammeroper. Im Herbst 2010 war Manuela Kerer eine der jüngsten Gastkomponistinnen beim angesehenen internationalen Komponistenforum am Schachernhof in Mittersill. Ein großer Erfolg ihrer bisherigen Karriere bedeutete auch die europaweite Übertragung verschiedener Werke anlässlich des Art"s Birthday sowie Übertragungen im Ö1-Kunstradio oder eine Einladung zu einer Gastprofessur in Minnesota/USA.

Im Jahr 2009 verlieh ihr die Stiftung Walther-von-der-Vogelweide-Preis des Südtiroler Kulturinstituts die gleichnamige Auszeichnung. In dieser Laudatio wurde insbesondere auf die außergewöhnliche Kreativität und Vielseitigkeit Manuela Kerers hingewiesen. Im August 2011 wählte sie das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten in Wien für das Förderprogramm 2012/13 The New Austrian Sound of Music aus.

Neben dem Klima aufgeschlossener kultureller Förderung ist unsere Zeit von nahezu unbeschränkter Gedanken- und Ausdrucksfreiheit gerade im Bereich der Kunst geprägt. Dieser große Freiraum der prinzipiellen öffentlichen Akzeptanz ermöglicht es ja erst, eine so fantasievolle und experimentierfreudige Künstlerin wie Manuela Kerer an die Grenzen ihres musikalischen Ausdrucksvermögens gelangen zu lassen. Ihr ist prinzipiell alles, was akustische Phänomene hervorbringt, für ihre Kunst verwendbar. Einer ihrer Sprüche lautet, dass die ganze Welt klinge. Sie macht Musik mit Eier- und Mozzarella-Schneidern, mit Teppichen samt Teppichklopfer, Wasser oder Didgeridoos. Humor und Sinnlichkeit kämen in der neuen Musik zu kurz, meint Manuela Kerer. Darum lässt sie ihre Musiker auch auf selbst gebastelten Papierinstrumenten oder etwa Kinderklavieren spielen, lässt sie die Schlagzeuger lautstark von knusprigem Südtiroler Schüttelbrot abbeißen oder mit Wasser plätschern.

Es gibt auch Musik von ihr für zehn elektrische Zahnbürsten, weiteres "unmögliches Instrumentarium" und Stimme, die im Oktober 2010 beim Festival transart Bozen uraufgeführt wurde. Das hat gewiss nicht zuletzt mit ihren Kindheitserfahrungen zu tun, denn im Haushaltwarengeschäft ihres Vaters in der Brixner Altstadt gehörten Alltagsgeräusche wie verschiedene tickende Uhren zur gewohnten und wohl auch geliebten heimatlichen Klangkulisse. In der Verbindung von konventionellem Musikmaterial mit naturgegebenen Klangphänomenen, in der Benützung mannigfacher technischer Möglichkeiten der Klangerzeugung und -verfremdung unter vielfältiger Einbindung theatralischer Elemente hat sich Manuela eine reiche Welt für ihre fast unbegrenzte Fantasie geschaffen. Manuela Kerers Musik bleibt bei aller Komplexität der Stilmittel doch immer erkennbar höchstpersönlich und unverwechselbar. Die Manifestation eines solchen Personalstils ist aber eine schicksalshafte Auszeichnung, die nur den besten Künstlern geschenkt wird. Ihr Gesamtwerk ist vollendetes künstlerisch-musikalisches Abbild einer gegenwärtigen Weltempfindung. Manuela Kerers Musik findet so auch vielfach Widerhall bei den Menschen. Es ist ein fast einzigartiges Phänomen, wie spontan ihre Kunst auch Menschen unterschiedlichster Bildungsgrade, Altersstufen und sozialer Milieus in ihren Bann zu ziehen vermag. Ich habe das selbst bei der Österreichischen Erstaufführung ihrer HausoperDie Prozession der Käfer in unserem Privathaus 2008 miterlebt, wo sie nicht nur ihre geladenen Gäste, sondern auch alle unsere Nachbarn, die an sich keine Beziehung zu Neuer Musik haben, mit dieser Darbietung aufrichtig begeistern konnte (Komposition und Libretto der Prozession der Käfer in Zusammenwirken mit Daniel Oberegger).

Die Fähigkeit, das Publikum für sich einzunehmen, hängt nicht nur mit der großen Originalität ihrer Musik zusammen, die etwa Humor, Ironie oder Theatralik wie selbstverständlich einbezieht, sondern auch damit, dass die Komponistin oft selbst aktiver Teil ihrer Präsentation ist und wiederholt das Publikum an der Performance als aktiv Mitwirkende einbindet. Ein repräsentatives Beispiel dafür ist die Komposition Sussurament dla munt (Das Flüstern des Berges) für im Raum verteiltes Orchester und Publikum. Dieses brillante Werk war 2007 einer der Beiträge der Österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik zu den Weltmusiktagen der International Society for Contemporary Music in Hongkong. Eine ähnliche, den ganzen Raum nützende akustische Inszenierung verwendet Manuela Kerer in ihrer Komposition Pachamanca con Knödel (2007) für im Raum verteilte, Position verändernde Anden-Instrumente. Dieses Auftragswerk der Hochschule für künstlerische Bildung ESFA (Escuela Superior de Formaci n Artistica) in Puno am Titikakasee/Peru wurde in Puno auch uraufgeführt.

Erklärende Vermittlung ist für Manuela Kerer sehr wichtig, damit das Publikum leichter den Zugang zur inneren Gedankenwelt der Komposition findet, der sich kunstimmanent oftmals nach außen hin nicht von allein zu erschließen vermag. Manuela Kerer ist folgender Ansicht: "Wenn die Zuhörer die Gründe und Hintergründe eines Musikstückes wissen, interessieren sie sich vielleicht mehr dafür". Weiters erklärt sie: "Es gibt Komponisten, die sagen, dass es ihnen nicht wichtig ist, was das Publikum meint. Für mich ist das Publikum hingegen das Wichtigste, oder zumindest seine Reaktion. Ich möchte das Publikum nicht berieseln, mir ist auch Recht, wenn die Leute schockiert sind oder lachen. Deshalb baue ich das Publikum auch gezielt ein, weil ich die Reaktion ja nicht genau abschätzen kann. Der zweite Akt meiner Oper Rasura (2007) spielt zum Beispiel in der Pause, am Buffet. Die Leute gehen hinaus, meinen, es sei Pause, und dabei geht das Ganze weiter. Es interessiert mich, was dann passiert, wie die Leute reagieren. Mir gefällt es jedoch nicht, wenn das Publikum ein Notenblatt in die Hand gedrückt bekommt und das Gefühl hat, da kommt jetzt ein wichtiger Einsatz und der muss klappen, sonst geht das Stück in die Hose. Oder dass die Leute zu etwas gezwungen werden, was sie nicht mögen. Aber spielerische Elemente sind wichtig für mich [ ] Oft sind es einfach Überraschungsmomente, die zum Lachen animieren. Ich erlebe immer wieder Konzerte, wo das Publikum drinnen sitzt und nicht weiß, ob es jetzt lachen darf oder schon klatschen muss. Bewegen darf man sich nicht, schnäuzen auch nicht, alles zu laut. Mir gefällt es, wenn sich die Leute einfach gehen lassen. Zum Beispiel habe ich das Publikum einmal dazu aufgefordert, sich die Ohren zuzuhalten. Es hat viele amüsiert, sich in einem Stück, wo man doch zuhören sollte, die Ohren zuzuhalten. Das Meiste meine ich aber durchaus ernst, und doch hat vieles einen gewissen Witz oder kommt zumindest so an". Bei einer Konzerttournee durch Kroatien im Rahmen des Projekts Drau/Drava alter Fluss und neue Klänge, das 2006 von der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik Tirol durchgeführt wurde, sagte ein einheimischer Zuhörer zu Manuela Kerer, dass ihr Stück für Ensemble und Wasser das Verrückteste, doch Beste gewesen sei, das er je gehört habe.

Für die eigene Musik wünscht sich Manuela Kerer, dass sie nicht kalt lässt. Lieber seien ihr Beschimpfungen als die Bemerkung, die Musik sei "nett" gewesen. Einmal meinte ein Kritiker, ihr Stil sei die Stillosigkeit. Manuela Kerer hat dieses Zitat gerne in ihren Wortschatz übernommen, auch deshalb, weil sie prinzipiell alles interessiert. Sie sagt: "Ich finde es ungemein spannend, einen Bach-Choral zu schreiben, das ist wichtig, das gehört zum Handwerk, aber genauso interessiert mich der Klang vom Wasser. In meiner Musik tut sich einfach viel, und deswegen spreche ich von Stillosigkeit".

Erst kürzlich, im Juni 2011, beeindruckte in ihrer Heimatstadt die Uraufführung von Magnificum chaos, ein Auftragswerk des Südtiroler Künstlerbundes mit Unterstützung der Brixner Initiative Musik und Kirche. Hildegard Herrmann-Schneider berichtet in der Südtiroler Tageszeitung Dolomiten vom 14. Juni. 2011 zu diesem Ereignis: "Das Programm der Uraufführung des Magnificum chaos von Manuela Kerer kündigte einen jugendlich-musikalischen Kirchgang" an, geworden ist daraus ein universelles Eintauchen in den Schöpfungsmythos, eine Stunde akustisch, visuell und motorisch erfahrbarer Transzendenz. In der sensiblen Kombination edel einfacher Mittel zeitgenössischer Kunst erreicht Manuela Kerer Großes. Rezitation, Musik, Klang, Bewegung, Tanz, visuelle Elemente samt Lichtregie und die Nutzung architektonischer Gegebenheiten des Aufführungsraumes vereinen sich zu einem Gesamtkunstwerk [ ] Ca. 50 Schüler der Musikschule Brixen waren die musikalischen Hauptinterpreten".

Ein wesentliches Anliegen ist für Manuela Kerer die kreative Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. In einer besonders faszinierenden Unternehmung hat sie 2009 im Auftrag des Vereins Tiroler Volksliedwerk mit Schülern aus Nord- und Südtirol ein Projekt erarbeitet, bei dem im Tiroler Volksliedarchiv überlieferte historische Lied-Texte zum Thema 1809 und Andreas Hofer unter ihrer Anleitung nach den Ideen der Schüler mit Melodien und aktueller Musik in neue kreative Klanggestalt gebracht wurden. Das fantasievolle Ergebnis ist auf einer CD dokumentiert. Auch bei diesem Projekt hat sich Manuela Kerer mit ihrer unvergleichlichen sozialen Kompetenz leicht emotionalen Zugang zu allen Beteiligten verschafft und sie zu größtmöglicher Begeisterung für die Sache animiert. Ähnliches geschah bereits im Jahr 2007 im Rahmen des Festivals Klangspuren (Schwaz) mit Schülern und Lehrlingen: Mit ihnen unternahm sie Spaziergänge, um auf die Klänge des Alltags und somit einen wichtigen Aspekt zeitgenössischer Musik neugierig zu machen. Folgende Stücke kamen bei den Klangspuren zur Uraufführung: 2008 Ixidoo (durch das Ensemble Ascolta Stuttgart), 2009 15 mg (durch das Trio Eis und Reinhold Brunner, Klarinette), 2010 Impresa omonéro (durch Martin Mallaun).

Seit Anfang dieses Jahres gestaltet Manuela Kerer eine Sendung im Hörfunk der RAI Bozen mit dem Titel Querschnitte - Zeitgenössische Musik. Darin informiert sie über aktuelle Tendenzen Neuer Musik. Musikjournalismus gehört zu ihren bunten Tätigkeitsbereichen.

Manuela Kerer ist schon als Persönlichkeit ein Ereignis. Vor allem ihre gewinnende Ausstrahlung, ihr vereinnahmendes Lächeln, ihre ungezwungene originelle Natürlichkeit und die Geradlinigkeit, die Spontaneität und Tiefe ihre Gedanken wie Handlungen machen sie aus. Dazu sei ein Leserbrief von Frau Anne Marie Pircher aus Kuens, erschienen in den Dolomiten am 22. 9. 2009, zitiert: "Ich habe die junge Komponistin Manuela Kerer einmal bei der Vorstellung einer Literaturzeitschrift im Kunsthaus Meran erlebt und war von ihrer Persönlichkeit vom ersten Moment an fasziniert. Diese junge Frau strahlte für mich eine so positive und erfrischende Energie aus, die in jeder Hinsicht ansteckend war. Die Art, mit der sie an das Publikum herantrat, war so unkompliziert und doch zutiefst echt, dass ich nur staunen konnte. Diese junge Frau bewundere ich für all ihre Talente, die sie geschickt miteinander verbindet. In ihrem Wesen vermittelt sich mir ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz, die einfach gut tut".

Manuela Kerer bezeichnet sich selbst als einen sehr realistischen Menschen, der die Grenzen seines Könnens abzustecken vermag. Gefragt, ob bei so viel Talent noch Platz für Schwächen sei, antwortet sie: "Jede Menge, ich bin oft sehr launisch und brauche viel Zeit für mich selbst. Alles ist auch nicht so gesund, was ich mache. Teilweise schlafe ich wenig, aber wenn der Geist das will, muss der Körper mittun. Ich mag es, unter Stress zu arbeiten, komponiere oft nachts. Meine WG-Mitbewohner kürten mich deshalb zur Königin der Augenringe. Gesund leben ist anders, und das weiß ich auch".

Manuela Kerer hat ein Gespür für medienwirksame Inszenierungen und Aussagen. Ihr Selbstbewusstsein ist genuin: "Ich weiß genau, was ich kann. Ich weiß aber auch, was ich nicht kann". Dies gehört zum wesentlichen Bestand ihrer Lebensphilosophie. Was sie zum Beispiel nicht könne, sei Autofahren, obwohl sie einen Führerschein besitze.

Manuela Kerer ist nicht auf den Mund gefallen. Sie ist pfiffig und schlagfertig im persönlichen Umgang und in ihren Kompositionen. Sie selbst sagt über sich, eine "hoffnungslose Optimistin" zu sein, und ein "Glückspilz". Sie sieht sich als die, "die mit den Klängen jongliert". Sie resümiert: "Ich glaube an das, was ich mache" und "Ich sag" ganz ungeniert: Ich weiß, ich schreibe gute Musik. Ich weiß aber auch, ich muss noch viel lernen, und das will ich auch"".

Manuela Kerer am Kinderklavier, die Sopranistin Kerstin Gieber und Martin Mallaun an der Zither (Foto: Waltraud Vergeiner, 21. 9. 2011)

Mag. Dr. Beate Palfrader, Tiroler Landesrätin für Kultur und Manuela Kerer (Foto: Waltraud Vergeiner, 21. 9. 2011)