Ein Nachruf von Sepp Landmann
Tiroler Volkskultur, 1983, S. 39-40
"Wohin, ach treuer Weggenoss",
gehst du die dunkle Straße fort von uns?
Hör doch das Lied,
das du so gerne mit uns sangst!"
Fassungslos und tief bestürzt mussten wir die Nachricht hinnehmen, dass unsere Ehrenpräsidentin, Frau Regierungsrat Herma Haselsteiner, am 2. September 1982 in Bozen ganz plötzlich verstorben ist. Die ratlose Erschütterung über diese Schicksalsfügung mag und kann wohl nur den rechten Ausdruck finden im Gefühle jener, die das Glück hatten, ihre Freunde und Weggenossen zu sein.
Der Name Herma Haselsteiner bleibt untrennbar damit verbunden, dass unser Heimatland Tirol wieder eine sichere Heimstatt für das angestammte volksmusikalische Erbe geworden ist.
Am Neujahrstag 1916 wurde sie in Innsbruck geboren. Durch ihre über das gesamte Tirol verzweigte Verwandtschaft haben die vielgestaltigen Eigenwilligkeiten unserer Tiroler Talschaften an dem überaus klugen Mädchen miterzogen, wobei sich in der jungen Herma das sichere Gespür für das Herzlich-Musische besonders festige. Sie wurde Lehrerin und kam 1938 an die Hauptschule Wörgl.
Hier, an einem Kreuzungspunkt der hochgeschätzten und vielgelästerten Unterland-Mentalität, die der jungen Lehrerin laut Abstammung ohnehin ins Herz gestempelt war, gründete sie 1946 den Wörgler Mädchenchor. Mit diesem kleinen Schulchor pflegte sie das heimische Volkslied, das gerade damals von Verfälschung und Verkitschung arg bedroht war. Für die Volksliederhaltung leistete Herma Haselsteiner wahrhaftige Pionierarbeit, und ihre kleine Singgemeinschaft wurde häufig zur Gestaltung von Schulfeiern, zu Feiern in Alters- und Fürsorgeheimen herangezogen und bald sehr geschätzt.
Beim 1. Österreichischen Bundesjugendsingen 1948 in Wien sorgte Herma Haselsteiner für eine Sensation. Mit dem schlichten Liadl: "I mag net Kuahhüatn " ersangen sich ihre Wörgler Dirndln den 1. Preis. Auch 1950 konnte der Wörgler Mädchenchor den 1. Preis vom Österreichischen Bundesjugendsingen nach Tirol bringen. Von nun an wurde die Herma mit ihren Dirndln immer wieder zu Konzerten, Rundfunksendungen und vor allem zur kulturellen Repräsentanz bei offiziellen Besuchen von wichtigen Ausländern in Tirol eingeladen. Mehrere Auslandsreisen folgten; in Holland, Berlin, Paris, in der Schweiz und überall im süddeutschen Raum wurden diese liebenswürdigen Sendboten Tirols mit Begeisterung aufgenommen.
Von der musikalischen Erziehungsarbeit durch Herma Haselsteiner mögen die über 300 Mädchen beredtes Zeugnis ablegen, die durch die Singschulung in Wörgl gegangen sind und die als Mütter heute das "gute Liadl" weitergeben. Obwohl sie ihr beruflicher Aufstieg zum Landesfachinspektor nach Innsbruck führte, hielt sie den Wörgler Dirndln die Treue, und als "Haselsteiner Dirndln" war eine Gruppe von "Ausgeschulten" noch jahrelang im rechten Sinne tätig, beliebt und begehrt.
Durch meine Tätigkeit bei den Stanglwirtssängertreffen seit 1957 konnte es nicht ausbleiben, dass Herma Haselsteiner und ich in unseren gleichgerichteten Bestrebungen zueinander fanden. Wie schon einige Male vorher, so bestellte sie mich auch zum Sprecher ihrer Jubiläumsveranstaltung "Zwanzig Jahre Wörgler Mädchenchor" am 6. Mai 1966 in Wörgl.
Dieser großartige Volksmusikabend sollte nun zum Markstein für den Tiroler Volksmusikverein werden. Bei den Vorbereitungen für diesen Abend, Herma Haselsteiner und ich saßen beim Essen im Hotel Schachtner, zeigte ich ihr meinen Mitgliedsausweis des Vereins für Volkslied und Volksmusik e. V. München, dem ich im Frühjahr 1966 beigetreten war. Mein Vorschlag: "So etwas bräuchten wir doch auch in Tirol", zündete bei Herma Haselsteiner, und in ihrer bewundernswerten Spontaneität brachte sie die konstituierende Generalversammlung für die Gründung des Tiroler Volksmusikvereines am 17. Dezember 1966 im Innsbrucker Gasthof Hellensteiner zustande.
Die unverdrossene Aktivität von uns beiden das muss der Wahrheit zuliebe einmal gesagt werden wurde anfangs ziemlich skeptisch belächelt. Aber wir wussten, was wir wollten, und Dr. Norbert Wallner gab uns ein prächtiges Anfeuerungsmotiv: "Wir wollen unsere Landsleute bei ihrem eigenen Erbe zu Gast laden!" Und wir füllten den Innsbrucker Stadtsaal bei den Veranstaltungen des Tiroler Volksmusikvereines, entgegen allen Befürchtungen. Besonders die Tiroler Adventsingen klangen in die Herzen der Bevölkerung und auch das neue Kongresshaus war uns nicht mehr zu groß. Und hinter und über allem wirkte und werkte die Vorsitzende Herma Haselsteiner unermüdlich. Ihrem Charme und ihrer wohl fundierten Selbstsicherheit konnte sich kaum jemand entziehen, und als sie am 30. Juni 1976, nach zehnjähriger Führung des Tiroler Volksmusikvereines, ihr Amt in jüngere Hände übergab, konnte sie wahrlich auf eine reiche Ernte zurückblicken.
Unvergessen bleiben ihre Sendungen im ORF, Radio Tirol, wo sie in den 50er Jahren ihr Volksmusik-Wunschkonzert in eingängigster Weise gestaltete, und ich denke natürlich an die Sendungen "In der Bauernstub"n", in denen wir die Zielsetzung unseres Tiroler Volksmusikvereines unterhaltend verbreiten duften.
Als Herma Haselsteiner am 30. Juni 1982 beim Begräbnis unseres Ehrenmitglieds Toni Katschthaler in Brixlegg viele Angehörige unseres Vereines anführte und wo nach unserem Brauch Freundschaftsbande besonders gut knüpfbar sind, ahnte es keiner, dass unsere Präsidentin schon nach wenigen Wochen uns alle an ihre eigene Bahre rufen würde. In der Stiftspfarrkirche Gries/Bozen haben wir uns dann am 6. September [1982] treffen müssen; Sänger und Musikanten aus ganz Tirol und auch aus Kärnten, wohin ihr Sohn Hans-Peter die Verwandtschaft erweiterte, ließen für unsere Herma Haselsteiner ein Memento mori erklingen, das ihr und ihrem Wirken nahe kam. Der Landeshauptmann von Tirol, sein Stellvertreter und viele Honoratioren besannen sich wohl am Bozner Friedhof bei den Weisen der Alpbacher Bläser, dass der Wert unseres Tiroler Landes nicht zuletzt von den Kräften unserer Volkskultur ausgeht. Die Tränen der ehemaligen Wörgler Dirndln, die als gestandene Weiberleut das Grab der Herma Haselsteiner benetzten, mögen als Dank gelten, den wir alle unserer Herma schuldig sind.