So wird's nie wieder sein…

Erinnerungen an den Landmann Sepp
Von Anne Schöbinger-Fuchs

Originalbeitrag

"Der Volksmusik und dem Volkslied kann man nur mit dem Gespür begegnen. Dazu kann jeder erweckt werden, der sich der Wurzeln noch nicht entrissen hat. Daran fehlt"s halt oft, bei uns im schönen Tiroler Land. Dass es bei Dir, liebe Anne, noch ganz stimmt, darüber freut sich Dein Landmann Sepp."

So schrieb er mir einst, Anno 1978, in "ein Büchlein, das mir gar viel wert, der Stanglwirt hat"s mir verehrt!" Darin sind so manche meiner Sänger- und Musikantenfreundschaften "verewigt". Vor allem aus meiner Anfangszeit, als ich gerade erst begonnen hatte, in die alpenländische Volksmusik "hinein zu schnuppern". Dass ich mich der Wurzeln "noch nicht entrissen" hatte, dessen war ich mir nicht ganz so sicher. Eher war ich eine Zurückkommende, eine so genannte "Heimkehrerin" Als junger Mensch hatte ich alles andere im Kopf, nur nicht die Volksmusik, von der ich keine blasse Ahnung hatte. Da war ein Elvis Presley, ein Paul Anka und vor allem mein Schwarm Udo Jürgens in diese Richtung ging meine Begeisterung. Und ich war schon über dreißig, als ich erst so nach und nach "auflosen" anfing, etwa beim Gang um die Milch zu meiner Tante, der Großbäuerin, die gerade die Radiosendung Die scheanste Weis laufen hatte. "Was ist denn das für eine Sendung?" wollte ich wissen. Und stellte weiter fest: "Das ist ja schön!" So wurde ich schließlich zur treuen Stammhörerin dieser und anderer Sendungen vom Sepp. Auch beteiligte ich mich öfters an der Wahl der "scheansten Weis". Dabei sprangen mir besonders die bodenständigen Stimmen des Pongauer Viergesangs ins Ohr. Und die "orgelnden" Inntaler Sänger aus Bayern mit ihrem Lied: "Die hohe Alm wead aa scho grea". Wie auch der Jagerhäusl Dreigesang und dessen "Wia schea draht si die Glocknkuah". Sie weckten mein Interesse und ich wollte bald mehr wissen über diese Gruppen. In einem wunderbaren Brief, den ich seither wie meinen Augapfel hüte, beantwortete mir der Sepp all meine Fragen. Und eines schönen Tages lud er mich mittels "Ladschreiben", wie es an Sänger und Musikanten erging, zum Sängertreffen beim Stanglwirt ein. Wie gingen mir da die Augen und vor allem die Ohren über, was sich dort abspielte. Obwohl ich"s wahrscheinlich noch längst nicht wirklich begriff, worum es da ging. Doch dass es sich dabei um was ganz Besonderes handelte, das war mir von Anfang an klar.

Ich war zu dieser Zeit im Rehabilitationszentrum Häring als Verwaltungsangestellte tätig und der Sozialberatung zugeteilt. Diese richtete das Jahr über auch Abendveranstaltungen für die Patienten des Hauses aus. Was läge also näher, als dem jährlichen Veranstaltungsreigen auch einen Abend mit alpenländischer Volksmusik hinzuzufügen? Und was läge näher, als sich dabei an den Sepp zu wenden? Und bereits ein Jahr nach meinem Einstand erklang dort 1977 der erste Volksmusikabend. Mit im Gepäck hatte der Sepp, der natürlich auch fürs "grechte Wort" sorgte, die Tiroler Kirchtagmusig, die Volksmusik Forster, das Harfenduo Reitmeir/Schafferer, die Stanglwirtsdirndln und den Telfer Dreigesang. Der Abend wurde wie erwartet mit großer Begeisterung aufgenommen und daraufhin Jahr für Jahr durchgeführt. War mir der Sepp bei der "Beschaffung" der Gruppen in den ersten Jahren noch sehr behilflich, so schaute ich mich nach und nach immer mehr auch selbst danach um. Meist beim Stanglwirts-Sängertreffen, wo sie zuhauf anrückten und man aus dem Vollen schöpfen konnte. Der Sepp hob in seinen Sendungen immer wieder die "bäuerlichen Geiger" der Schwendberger Hochzeitsmusig hervor. Zudem sah ich den Film über diese legendären "Zillertaler Geiger" im Fernsehen. Schließlich war ich ganz versessen darauf, diese raren Musikanten für unseren Volksmusikabend im Rehabilitationszentrum zu gewinnen und machte mich kurz entschlossen auf den Weg zum Schwendberg, wo ich den Harfenisten der Gruppe, Sepp Kirchler, beim Mistbreiten am Roan aufstöberte. Was für eine eindrucksvolle Begegnung! Ich seh" das Bild heute noch vor mir. Die Schwendberger Hochzeitsmusig wurde schließlich für viele Jahre soviel wie unsere "Hausmusig". Wie auch die Mitterhögl Hausmusik aus Kitzbühel. Überhaupt schien ich dabei eine recht glückliche Hand zu haben. Gruppen, von denen man nur träumen konnte, ließen sich im Laufe der Zeit im Rehabilitationszentrum Häring hören.

Von Anfang an habe ich meine Fühler nach allen Seiten hin ausgestreckt, gerade auch in Richtung Bayern, das somit immer eine große Rolle spielte. Wahrscheinlich hatte Sepps Vorliebe für Bayern auf mich abgefärbt. So kamen von dort so klingende Namen wie die Fischbachauer Sängerinnen, die Geschwister Hartbichler, der Anzenberger Dreigesang, die Inntaler Sänger, die Greilinger Sänger, die Kreuther Klarinettenmusi, die Wetterstoa Musikanten, die Hammerauer Musikanten, die Rotofenmusi, und andere mehr. Das Salzburger Land war mit Andi Salchegger und dem Almer Dreigesang vertreten. Mit ihren schönsten Jodlern warteten die Steiner Sänger aus Ramsau am Dachstein auf. Unser Tiroler Land vertraten neben den eingangs Erwähnten die Familie Pedarnig, der Jagerhäusl Dreigesang, der Gruber Zwoagsang, der Ebbser Kaiserklang das Harfenduo Steinberger, das Brixentaler Harfenduo, Franz Kofler und andere, wie auch Mundartdichter Sepp Kahn. Mehrere Male war der Landmann Sepp als Sprecher im Einsatz. Einmal gelang es mir, die "Stimme Bayerns", Hedi Heres aus Dachau, nach Bad Häring zu holen. Und in den letzten Jahren wurde Hubert Kobler schließlich soviel wie unser "Haussprecher". Sie alle kamen in selbstloser Weise, scheuten keinen noch so weiten Weg. Gab es doch dafür kein Honorar, sondern lediglich einen geringen Fahrtkostenzuschuss. Ganze 25 Jahre lang wurde der Abend mit großem Erfolg durchgeführt.

Schon früh begann ich, Sänger und Musikanten im Bild festzuhalten. Und der Sepp ermunterte mich dazu, über die verschiedenen Veranstaltungen doch "ein paar Zeilen" zu schreiben. So erschienen die ersten Berichte in der Wörgler Rundschau und Sonntagspost. Und in den Neunzigerjahren dann in der Illustrierten Tirolerin, was mir sehr entgegenkam, konnte ich doch dabei meist mehrere Fotos unterbringen. Überhaupt wuchs ich mehr und mehr in die Sache hinein, in "inser Sach", wie der Sepp immer sagte. Und fragte ich mich manches Mal, was ich denn dabei eigentlich verloren hätte, wo sich meine Finger weder auf einem Instrument zurechtfinden würden noch mein "Schnabel" auch nur irgendwie einsetzbar wäre, so lag die Antwort doch klar auf der Hand: Ich hatte mein Herz an sie verloren. Sie wurde geradezu zu meinem Lebensthema. Auf allen Wegen begleitete mich schließlich ein Lied. Und war ich gerade auf Kneippkur in Kärnten, so wollte ich dort den Kärntner Liedern auf den Grund gehen und die Orte aufsuchen, wo diese Lieder "spielten", wo sie ihren Ursprung hatten. Weil im Schneeberggebiet in Niederösterreich seit jeher ganz typisch gesungen und gejodelt wurde, so wählte ich auch einmal Puchberg am Schneeberg als Kneippkurort aus, lernte dort den liebenswerten Puchberger Franzerl, Robert Zottl, und seine Partie kennen, wie auch die Schneebergbuam. Zu dieser Zeit, Juli 1987, war gerade der Weltharfenkongress in Wien, an dem auch der Sepp teilnahm. So machte ich ihm schließlich einen Hoagascht mit meinen neuen Sängerbekanntschaften für seine "Scheanste Weis" schmackhaft. Und holte ihn dazu nach Puchberg. In einer mehr als nur geselligen Runde nahm er besagten Hoagascht auf. Viel Brauchbares kam dabei allerdings nicht heraus. Zu sehr hatten Branntwein, Bier und Wein der Runde zugesetzt. Doch was für eine sagenhaft durchdudelte Nacht! Unvergessen!

Am nächsten Tag brachte ich ihn zum Flughafen nach Graz. Was hat er mir auf dem Weg dorthin nicht alles erzählt! Oft hatte man das Gefühl, dass er sein großes Wissen, all seine Erfahrung und seine vielen tiefgehenden Erlebnisse einfach loswerden musste, bevor sie ihn "zerreißen", bevor sie ihn erdrücken. Oft schien er bis oben hin vollgestopft. Und da kam ich ihm gerade recht. Und rügte er mich auch oft: "Du kannst ja net zuahearn! Zuahearn ist das Wichtigste im Leben. Nur durchs Zuahearn hab i soviel dafragt. Weil i den Alten immer zuag"lost hab." Aber unter seiner "Regie", denke ich, bin ich mit der Zeit doch zur brauchbaren Zuhörerin geworden.

Oft erzählte er von seiner Großmutter mütterlicherseits, dem "Klarä a da Wies", die aus der Wildschönau stammte und ihm so viel bedeutete. Dass er stolz sei, "ein halber Wildschönauer" zu sein. "Auf die Wildschönauer halt" i viel!", sagte er oft. Dass er in seiner Kindheit öfters den Wohnort und damit auch die Schule wechseln musste, sei für ihn ein Vorteil gewesen. In der Hauptschule in Kufstein sei er für alle immer nur "der Schiller" gewesen. Schon damals habe er Schiller "auswendig können". Und er erzählte von seiner Schlosserlehre bei seinem Großvater Guggenberger in Brixlegg und seinem ersten Lehrerposten in der einklassigen Volksschule in Kaisers im Lechtal. Dass er damals auch den Jagdschein gemacht habe, aber zum Jagern sei er nie gegangen. Und natürlich kam die Rede immer wieder darauf, wie eines Tages die "riegelsame" Stanglwirtin Anna Hauser mit ihrem Mercedes vor dem Schulhaus in der Hygna, seinem zweiten Lehrerposten, aufkreuzte, um ihn zu fragen, ob er nicht bei ihrem Sängertreffen ansagen wolle. Warum er damals nicht gleich "angebissen" habe, wisse er auch nicht.

Eine der g"spaßigsten Geschichten war zweifellos die, wie die alpenländische Volksmusik das Passionsspielhaus Erl "eroberte". Anhand eines praktischen Beispiels hätten sie - Hans Kneringer und er, Sepp Landmann, von Tiroler Seite und Alfred Förg vom Rosenheimer Verlagshaus und Wastl Fanderl von bayrischer Seite - dem Passionsspielverein vor Augen geführt, dass Volksmusik durchaus auch in einem Passionsspielhaus ihre Berechtigung hat. Mit einem Kleinbus seien sie hinausgefahren ins Bayrische, nach Unterwössen, wo der örtliche Pfarrer höchstpersönlich zu einem alpenländischen Singen und Musizieren in der Kirche eingeladen hatte. Was dem damaligen Geschäftsführer des Passionsspielvereins Hans Schwaighofer schließlich den Sager entlockte: "Boid"s in da Kirch tuat, aft wuscht"s eppa bei ins aa toa!?" Und wie das tirolisch-bayrische Vorhaben schließlich in der "Blauen Quelle" besiegelt wurde. Von den Urhebern existiere ein Foto, betonte er öfters, "dös hängt heit nu in da Wirtsstubn bei da Blauen Quelle".

Auch machte er sich oft lustig über den berühmt-berüchtigten "Musikantenneid", der dem "Jaga- und Weiberleutneid" um nichts nachstünde, der aber auch sein Gutes bewirke. Fordere dieser doch Sänger und Musikanten zu entfesseltem Spiel und Gesang heraus. Auch wurde ich Zeuge der Auseinandersetzung mit Stanglwirt Balthasar Hauser, nach 30 Jahren als Gestalter und Sprecher beim Sängertreffen. Bei einer gemeinsamen Veranstaltung in Kärnten kam es 1987 zum Zerwürfnis zwischen den Beiden. Ich versuchte zwar noch, "wie eine Wilde" zu vermitteln. Doch es half alles nichts. In seiner bisherigen Funktion als Gestalter und Sprecher beim Sängertreffen kam der Sepp nie mehr zum Stanglwirt zurück.

Und hatte er seinen Fünfziger noch dort gefeiert, so ging"s bei seinem Sechziger im Februar 1988 im "Herrenhaus" Brixlegg hoch her. Ich hatte dabei die ehrenvolle Aufgabe, Sänger und Musikanten einzuladen. Wegen des großen Schneesturms an diesem Tag konnten zwar einige der angesagten Gruppen dann nicht kommen, so die Roaner Sängerinnen oder Wastl Fanderl. Dennoch war das Herrenhaus schließlich ein einziges Konzerthaus. Auch meinen eigenen Geburtstag habe ich nie klangvoller erlebt. Konnte ich doch diesen gleich mitfeiern, wo wir ja am selben Tag, am 11. Februar, auf die Welt kamen. Ich halt ein paar Jährchen später. So verband uns von Haus aus schon einmal Einiges. Gemeinsame Eigenschaften, wie unser beider Vorliebe für den Norden. Viele Male ist der Sepp begeistert nach Kanada und Alaska aufgebrochen. Und als ich 2010 endlich auch einmal dorthin kam, schrieb ich ihm eine Karte von "dem Ort, wo du auch schon nach Gold geschürft hast". Um noch einmal auf das große Fest zu seinem 60. Geburtstag zurückzukommen: Dazu rückte ich nicht nur mit einem "guatn Schnapsä" an, für das der Sepp zeitlebens viel übrig hatte, sondern auch mit einem ganz besonderen Geschenk mit einem Original des Steyerischen Rasplwerks von Konrad Mautner, das ich zwei Jahre vorher in einem Wiener Antiquariat noch auftreiben konnte. Ich hatte es von Anfang an dem Sepp zugedacht, um es ihm bei passender Gelegenheit zu übergeben. Diese schien nun gekommen, mit großer Freude, aber auch zugegebenermaßen mit ein wenig Stolz, dass ausgerechnet ich, eine Namenlose in diesem Kreis, in der Lage wäre, ihm eine derartige bibliophile Kostbarkeit zukommen zu lassen. Ich tat dies ganz in der Manier eines Ludwig Thoma, als dieser an Weihnachten 1919 dem Kiem Pauli sein Rasplwerk übergab mit den Worten: "Nehmen Sie"s nur! Bei mir liegt"s grad rum, bei Ihnen wird"s wieder lebendig!" Und ergänzte weiter: "Du hast es zwar längst lebendig gemacht Doch warum sollst ausgerechnet Du, der Du die Volksmusik in Tirol wieder derart zum Klingen gebracht hast, kein Original in Deiner Hausbibliothek stehen haben, zumal dort und da noch eines aufzutreiben ist." Bekanntlich wurden damals nur 400 Stück aufgelegt, jedes einzelne nummeriert. Es handelte sich dabei um Exemplar Nr. 276, dem eine interessante Geschichte anhaftete. Als sein einziges Hab und Gut brachte es sein damaliger Besitzer namens Josef Hinteregger auf seiner Flucht aus der Tschechei im Rucksack heil nach Wien, wo er sich schließlich im hohen Alter davon trennte. "Geben ist seliger als Nehmen." Ob ihn mein Geschenk richtig gefreut hat, wo er doch bereits einen guten Nachdruck besaß, dessen war ich mir nie ganz sicher. Doch wir haben nie darüber gesprochen.

Zu einer unerwarteten Wiederbegegnung mit "meinem" Rasplwerk, das ich einst dem Sepp zum Geschenk gemacht hatte, kam es im September 2003. Just im Ludwig-Thoma-Haus auf der Tuften am Tegernsee, wo Hedi Heres eine ihrer eingängigen Ludwig-Thoma-Lesungen hielt. Der Sepp hatte sein/mein Rasplwerk also an Bayern weitergegeben. A bissl weh hat"s schon getan. Aber auch dabei gilt der Spruch, den sich ein weiser Mann auf seinen Grabstein schreiben ließ: "Nur das, was du verschenkt hast, hast du wirklich besessen."

Viel mehr bedeutet hat ihm dagegen zeitlebens mein Mitfotografieren, hat er doch Ankündigungen, Kritiken, Berichte, Fotos etc. der jeweiligen Veranstaltungen fein säuberlich gesammelt, um diese in seiner "Mappe" abzulegen. Öfters rief er mich auch zu einer Veranstaltung, ich möge kommen, um "ein paar Fotos" zu machen. Manchmal hatte die Veranstaltung längst begonnen, wie das 25. Harfenspielertreffen in Mariastein im Frühjahr 1996. Dieses Treffen war für mich neu. So lernte ich die Riege der Harfenspieler kennen. Die legendären "alten Meister", wie den Weber Pauli, Ewald Grasl oder den Hager Sepp, hab ich allerdings nicht mehr erlebt. Beim Harfenspielertreffen blieb ich schließlich "hängen" und stehe seither dabei alle Jahre im Einsatz. Wie auch beim Jagerischen Singen in Kufstein. Ja, mit der Zeit konnte ich "der Sache etwas zurückgeben". Denn wie heißt"s im "Kleinen Prinzen" so schön: "Du bist ein Leben lang für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast!"

Doch beileibe nicht mit allem, was ich so von mir gab, war der Sepp auch einverstanden. Er schaute mir immer ganz genau auf die Finger und kritisierte mich manchmal scharf. Wie einmal meinen Bericht über G"schicht"n, G"spiel und G"sang im Passionsspielhaus Erl. "Diesmal hast du uns Tiroler aber schiach einig"haut in die Pfann! Als hätten die Boarn den Abend allein durchgesetzt", dünkte ihn. Doch das lag mir fern. In letzter Zeit war er oft recht ungeduldig. Manchmal war es ihm zu mühsam, die ganze umfangreiche Illustrierte nach meinen Berichten abzusuchen. So rief er mich kurzerhand an und fragte: "Ist diesmal was von dir drin?"

Zu seinem Siebziger im Jahr 1998 lud der Bayerische Rundfunk unter dem damaligen Abteilungsleiter Volksmusik, Fritz Mayr, im Rahmen der Oberaudorfer und Reisacher Musiktage zum Wallerwirt vor Ort ein, wo man den "Kiem Pauli von Tirol" gebührend hochleben ließ. Der Sepp war zwar mit Leib und Seele Tiroler, doch oft fühlte er sich "drent" im Bayrischen weit mehr geschätzt und verstanden als im eigenen Land. Ich möchte ja nicht hineinstochern ins Wespennest, doch es wird schon was Wahres dran sein am alten Sprichwort, dass der Prophet im eigenen Land meist nicht alles gilt. Aber damit war er wohl in bester Gesellschaft.

Im Herbst 1999 stand beim Stanglwirt das 100. Sängertreffen an. Inzwischen war es zur Aussöhnung mit Balthasar Hauser gekommen. Ich war froh darüber. Der Sepp war wieder öfters beim Sängertreffen anzutreffen. Und auch sein letzter "runder Geburtstag", sein Achtziger 2008, wurde in kleiner, feiner Runde auf der Stangl-Alm gefeiert. So schloss sich wieder der Kreis.

Wenn ich so die Jahre Revue passieren lass", so muss ich sagen, dass ich sehr, sehr dankbar bin für diese wunderbare, große Zeit. So im Nachhinein betrachtet, hätte ich ja am liebsten noch die sogenannte "Kiem-Pauli-Zeit" erlebt, als der Pauli Anfang der Dreißiger Jahre noch Volkslieder sammelnd durchs Land geradelt ist. Das muss eine heimelige Zeit gewesen sein! Liegt doch im G"spiel und G"sang dieser Zeit so viel drin, das sich nicht erklären lässt. Eine Faszination ohnegleichen! Man höre sich nur einmal so eine alte Aufnahme beispielsweise der Tegernseer Musikanten an, die da buchstäblich bis zur Besinnungslosigkeit aufspielen. Einfach genial! Eine unbändige Lebensfreude und Lebenslust schlägt einem da entgegen. Was für eine Fülle bei aller Kargheit der damaligen Zeit! Ja, ich hänge dieser schönen, kargen Zeit nach, wo man noch nicht im Überfluss erstickt ist. Und ich durfte zumindest noch die Ausläufer dieser großartigen Zeit erleben.

Wie kamen sie da noch angerückt, aus allen Windrichtungen, etwa beim 75. Sängertreffen im Herbst 1986 beim Stanglwirt und schon die Jahre zuvor. Sing- und Spielleute, die diese Zeit noch in sich trugen wie die Riederinger Sänger in ihrer unvergleichlichen Art mit ihren wunderbaren alten Liedern "Üba d"Alma" oder "A Gams han i gschossn im Kaisergart"n". Wie Krippenfiguren sind sie dabei auf dem kleinen Podium gestanden. Oder die Fischbachauer Sängerinnen, die einem mit ihrem Herbstlied "Scheena Summa, bist scho umma, bist uns wia a Diab ganz stad davo" Wehmut pur ins Herz gesetzt haben. Oder die Röpfein mit ihren glockenhellen Stimmen, wie sie die Alm besungen haben, von der sie grad herkemma sind. Oder die Geschwister Hartbichler, als sie noch mit dem Stanglwirts-Lois zusammen - wie in der Frühzeit des Sängertreffens - ihr "Aba Hansei spann ei" vorbrachten und damit eine in vielem beschaulichere "Welt von gestern" wieder lebendig machten. Geradeso die Geschwister Oberhöller aus St. Lorenzen im Südtiroler Pustertal mit ihrem prächtigen Almliadl "Auf der Alm da is a Leb"n", ein Lied, das mich auf Anhieb verzückt hat und das ich nur von dieser Ausnahmegruppe her kenne. Einzigartig in seiner Steigerung! Und als der Bla Lois, dieses Unikat aus Bad Ischl, noch mit seiner Simon Geigenmusi angerückt kam. Und Hochspannung pur lag in der Luft, wie vor einem Hochwetter, das sich jeden Augenblick entlädt. Und als der Windhofer Schorsch aus dem Pongau noch seinen "Tausendjährigen" außalassn hat. Wie pfeilgrad ist er dabei nur dagestanden, hochherrschaftlich, bei aller Einfachheit. Und als der große Fanderl Wastl noch zuawakemma ist, der wie kein anderer die Leut zum Mitsingen anhalten konnte, erinnern wir uns nur an den jeweiligen "Schlussakkord" beim Festabend des Alpenländischen Volksmusik-Wettbewerbs in Innsbruck in den 1980er Jahren. Und mitten drin wirkte und werkte der charismatische Landmann Sepp mit seinem bestechenden Charme und Humor, seiner Schlagfertigkeit und Schläue, aber auch seiner Geradlinigkeit, wo immer alle Fäden zusammengelaufen sind. Als begnadeter Mittler hat er der Sache einen besonderen Halt gegeben. Und mehr noch, den notwendigen Zusammenhalt.

Da konnte wahrhaftig noch von der "guten alten Zeit" die Rede sein. Und wenn jetzt so einer nach dem andern "geht", so ist das jedes Mal wie ein Weltuntergang für mich. Ein Weltuntergang auf Raten. Einschneidende Erlebnisse, die "ans Eingemachte" geh"n, wie im Februar 2007 der Abschied von Koni Bauer vom Samerberg, vulgo Hartbichler Koni. Nie werde ich das Bild vergessen, wo sich alle elf Geschwister Hartbichler beim 60. Geburtstag ihrer jüngsten Schwester Resi in Schliersee zum gemeinsamen Singen versammelt haben. Aus allen Ecken und Enden hat sich einer oder eine unter den vielen Gästen erhoben, um nach vorne zu gehen. Ich fragte verdutzt, was denn das für Leute seien, die sich da in Bewegung setzen. "Das sind die Geschwister Hartbichler", hieß es. Elf Geschwister, die ein Herz und eine Seele sind und bis ins hohe Alter miteinander singen, wo gibt"s das ein zweites Mal? Nur zwei Wochen darauf ging der Gebauer Heli von uns, dieses "Elementarereignis" aus Ramsau am Dachstein. Zu "Lebensmenschen" waren sie mir geworden, die Steiner Gretl und ihr "Gespons", der Heli. Was hab ich mit den Beiden nicht alles erlebt! Einfach unbeschreiblich! In einem reißerischen Film oder einem Lustspiel könnt"s nicht turbulenter zugeh"n. "Gefunden" haben wir uns natürlich auch einst beim Sängertreffen in Going. Im November 2010 folgte die traurige Nachricht, dass meine liebe, verehrte Freundin Hedi Heres, die großartige Moderatorin unzähliger Volksmusiksendungen beim BR und Autorin, 71-jährig in einem Münchner Krankenhaus verstorben ist. Wie keine andere wusste sie von Ludwig Thoma und dem Kiem Pauli zu erzählen, den sie als junges Dirndl noch kennen gelernt hat, gingen ihre Eltern doch beim Pauli in Wildbad Kreuth aus und ein. Wie hab ich mich seinerzeit dafür eingesetzt, dass sie und der Sepp einmal "gemeinsame Sache" machen, was bei den betreffenden Rundfunkanstalten schließlich Gehör fand. Drei gemeinsam moderierte Abende hüben und drüben waren die Folge. Einfach schön war"s! Bereits wenige Wochen später, im Dezember 2010, folgte der Hedi dann der Schwab Franzi, dieses Musikantengenie aus Markt Schellenberg in Bayern. Auch mit ihm verbinden mich winzig kleine und doch so große Erlebnisse. Um ihm ein paar Fotos zu übergeben, suchte ich ihn einmal in seinem Heimatort auf. Natürlich traf ich ihn nicht daheim an, sondern in "seinem" kleinen Cafe. Vor sich seine Halbe Bier, und neben sich das Kofferl mit seiner Zither. Ein andermal hat er mich gebeten, ihn aus dem Stanglwirtshaus hinauszuführen und zum Auto zu begleiten, weil er schon schlecht gesehen hat. Da blieb er vorm Haus stehen, drehte sich noch einmal um und meinte: "I bi ja scho da herkemma, da is nu dös alte Wirtshäusl alloa da gstandn. Mei, is dös nu schee gwesn!"
Und schließlich, am 30. September 2011, traf es den Sepp, meinen "letzten großen Rückhalt". So unendlich vieles verdanke ich ihm. Mit seinem einstigen Hinführen zur alpenländischen Volksmusik hat er mir zu einem regelrechten "Lebensmittel" verholfen. Und ich sollte eigentlich froh darüber sein. Doch ich kann es nicht im Gegenteil. Ich bin sehr betrübt. Fühle ich doch, dass es so nie wieder sein wird.